25.10.2015

GastPost*: Hilfe. Lebensrisiken – Lebenschancen | Diakonissenhaus Gallneukirchen



Wandgestaltung Sonderausstellung
Unter dem Titel „Hilfe. Lebensrisiken – Lebenschancen“ wird im Diakonissenhaus in Gallneukirchen noch bis 2. November die Oberösterreichische Landessonderausstellung 2015 gezeigt. Für alle jene, die sich unter diesem Titel zunächst nicht viel vorstellen können: Es handelt sich dabei grob gesagt um einen Rückblick auf die Entwicklung des Systems der sozialen Sicherung in Österreich, mit einem Fokus auf das Bundesland Oberösterreich. Puh! Also eine Ausstellung der geschichtlichen Entwicklung des Sozialversicherungswesens. Das Ganze in Gallneukirchen. Das versprach… ja, was eigentlich? Exotik? Langweile? Ich wollte es herausfinden und verband den Besuch der Ausstellung mit einem Aufenthalt in Linz. Und ich dachte mir im Stillen: Wer dieses Thema gelungen umsetzt, der kann alles machen… Also rein ins Vergnügen!

Der erste Raum wirkt tatsächlich vielversprechend: An einzelnen Stelen befinden sich Portraits unterschiedlicher Personen, die in verschiedenen Funktionen im sozialen Bereich tätig sind. Nettes Gimmick dabei: Die Portraits sind keine Fotografien, sondern Filmaufnahmen, auf welchen immer mal wieder ein Zwinkern oder Blinzeln zu sehen ist. Eine besondere Wirkung erhält der Raum durch die großzügigen Spiegelflächen. Einzelne Stelen sind ebenfalls mit Spiegeln auf Gesichtshöhe bestückt, so dass der Besucher sich, sein Antlitz betrachtend, wohl fragen soll: Und ich? Was ist mein Beitrag?

Über einen kleinen Zwischenraum, der als Warteraum konzipiert ist und etwa auf die stets gesondert mit „LL“ gekennzeichneten Raumtexte in leichter Sprache verweist, gelangt man in den ersten „richtigen“ Ausstellungsraum. Ich werde von einer großflächig am Boden präsentierten Impulsfrage empfangen, wie fortan in etlichen Räumen. Und dann: Texte, Grafiken, Schaubilder, Zeitleisten und Symbole allerorten. Schnell begreift der Besucher: Das Infotainment findet an den Wänden statt und das in geballter Form. Eine Themenwand mit Zeitleiste erläutert den geschichtlichen Ablauf der Sozialversicherung von Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum „Anschluss“ an Nazi-Deutschland 1938. Dabei werden auch kleinteilig historische Figuren eingeführt und über Netzwerke in Bezug gesetzt. Auf der gegenüberliegenden Wand erfährt der Besucher mittels eines Comics eine allgemeine Einführung in das Thema. Über Pfeile am Boden sind die beiden Wände miteinander verbunden, um thematische und chronologische Verbindung herzustellen. Das alles, vor allem die Wand mit der Zeitleiste, ist ob ihrer Überfrachtung an Information und Detailfülle wenig besucherfreundlich.

Säulenstatistik zur Entwicklung
der Arbeitslosenzahlen
In der gleichen Weise gestalten sich zahlreiche weitere Räume der Ausstellung – geballte Information an den Wänden. Und dies in aller Regel überladen: eine wirklich gelungene selbsterklärende Säulendarstellung der Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Österreich in den 1920er Jahren wird zum optischen Fiasko, indem unterhalb der Säulen ein Wust an Zahleninformation präsentiert wird, der durch die Säulen an sich obsolet ist. Weniger wäre oft mehr gewesen. Neben den „LL“-Texten existieren auch in jedem Raum „normale“ Raumtexte. Diese sind häufig recht schwierig zu lesen und mit zahlreichen Fremdwörtern gespickt, was die Texte in leichter Sprache umso wichtiger werden lässt.

Die Gestaltung der gesamten Ausstellung in den Farben weiß, grau und schwarz wirkt sehr kühl und „clean“. Das mag zwar einem gestalterischen Zeitgeist Rechnung tragen, eine emotionale Bindung des Besuchers zur Ausstellung gelingt aber nicht zuletzt deshalb nur sehr schwer.
 
Wandgrafiken zur NS-Zeit
Etwa nach der Hälfte des Rundganges gelangt man zu zwei Räumen, die sich der NS-Zeit widmen. Bis dahin ist bereits ein deutlich spürbarer Ermüdungseffekt eingetreten. Die Ausstellung bietet wenig Abwechslung und enorm viel Information. Leider wirkt das Thema NS-Zeit nicht stimmig in die Ausstellung integriert und vermittelt ein wenig den Eindruck, dass man eben nicht umhin kam, es zu bespielen. Dies jedoch sodann mit Grafiken zu tun, die in ihrer Ästhetik jenen des „Dritten Reichs“ ähneln und dies obendrein unkommentiert zu lassen, kann durchaus als gewagt bezeichnet werden. Das gängige österreichische Erklärungs-Muster, dass die Alpenrepublik 1938 das erste Opfer der reichsdeutschen Großmachtpläne wurde, wird leider wie so oft bedient. Doch dies nur am Rande.

Die zweite Hälfte der Ausstellung schließt nahtlos an die erste an, was mehr und mehr dazu führt, dass man Texte und Inhalte nur noch überfliegt. Die massigen Informationen laden keinesfalls ein, sich eingehend damit zu beschäftigen. Positiv fallen hingegen einige Medienstationen auf, an welchen man lebensnah ermitteln kann, welche Kosten beispielsweise mit einer Entbindung, einer Blinddarm oder einem Herzinfarkt verbunden sind. Überhaupt: Wenn es nah am Menschen ist, dann hat diese vor Zahlen, Information und Nüchternheit nur so strotzende Ausstellung ihre wenigen Höhepunkte: Recht weit fortgeschritten im Rundgang wird an einer Medieneinheit die Thematik Behinderung bespielt, unter anderem durch Interviews mit Behinderten in Bezug auf ihre Einschränkungen im Alltag. Es war trotz der Schwere der Thematik eine förmliche Wohltat, nicht mit neuen Gesetzesentwürfen, Paragraphen der Pflegeversicherung oder Ähnlichem behelligt zu werden, sondern aus der konkreten Lebenswelt der Menschen zu erfahren.

Mit der Entscheidung, weitestgehend auf Exponate zu verzichten, stellt sich die Ausstellung letztlich selbst ein Bein. Bei einer derart nüchternen Thematik wären es gerade Exponate gewesen, die für eine emotionale Bindung zwischen Besucher und Ausstellung hätten sorgen können. Natürlich sind bei einer solchen Thematik High-End-Exponate nur schwer vorstellbar, aber sie wären gar nicht notwendig gewesen. Niemand hätte sie erwartet. Doch durch den nur sehr spärlichen Einsatz von Ausstellungsstücken bleibt die Frage: Warum gehe ich in diese Ausstellung, wo mir die Inhalte in gleicher Weise im Lehr- und Handbuch hätten vermittelt werden können? Dies vermögen auch Playmobil-Figuren, die in einem Raum zur Inszenierung verwendet wurden, nicht zu verändern.

Sicher darf bei all den geäußerten Kritikpunkten nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich um ein nicht ganz alltägliches und daher recht schwieriges Thema handelt. Und ebenso merkt man, dass sehr viel Arbeit und Recherche hinter der geballten Information steckt, die Ausstellungsmacher haben sich eine Menge Arbeit gemacht. Dennoch: Reine Information, zudem in derart geballter Form, ermüdet. Ausstellungsstücke sind das Salz in der Suppe. Persönliche Schicksale berühren mehr als Gesetzesentwürfe. Die Ausstellung verfügt über eine enorme Infodichte, die jedoch nicht selten eine Reizüberflutung bei der Betrachtung der Wandabwicklung bewirkt. Da echte Aufrüttler fehlen, schleicht sich recht rasch eine gewisse Monotonie ein. Den zweiten Teil der Ausstellung überflog ich mehr, als dass ich ihn bewusst betrachtete. Es bleibt die Erkenntnis, dass eine Ausstellung nicht von bloßer Information leben kann, sei sie auch noch so modern und didaktisch vermittelt. Einigermaßen erschlagen und ernüchtert verließ ich die Ausstellung begab mich zurück nach Linz...






  • Lieblingsexponat? In Ermangelung derselben eher schwierig… 
  • Nachmachen! Mut zu außergewöhnlichen Themen! 
  • Was stört? In erster Linie das Zuviel an Information. 
  • Wie hinkommen? Mit dem Auto. Oder per Bus vom Hauptbahnhof Linz. 
  • Charme? Thema und Gestaltung ließen insgesamt recht wenig charmante Momente aufkommen… 
  • Jahreskarte oder Tagesticket? Da Sonderausstellung: Tagesticket 
  • Was gibt´s noch? Den Hinweis darauf, dass man im Oberösterreichischen Landesmuseum in Linz noch bis 29. November die wirklich sehr gelungene Sonderausstellung „Mythos Schönheit“ besuchen kann.


Autor: Fabian Fiederer | Historiker



Fotos, Zahlen, Grafiken –
die Wandinformationen wirken
unübersichtlich und überladen

Die Spiegelstelen binden die
BesucherInnen in die Ausstellung ein


Medienstation mit Touchscreen




* GastPosts stammen von Museumsinsidern, die für den Blog als Gastautoren schreiben. Wenn Sie auch einen externen Beitrag auf "museum on display" veröffentlichen möchten, können Sie sich bei Peter Ostritsch und Benjamin Widholm melden.

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