12.09.2014

Parlamentarium | Brüssel

EU, Europaviertel, Leuchtschrift, Parlament, Institution
Haupteingang des Parlamentariums in Brüssel
Erfahrungsbericht aus dem Mediendschungel – Audiovisuelle Medien gehören seit Jahrzehnten zur Ausstellungspraxis in Museen. Die sinnvolle und adäquate Anwendung ist eine Kunst für sich, die Kuratoren und Gestalter immer wieder aufs Neue verhandeln...
In der Museumslandschaft der Benelux fällt die Gewichtung hinsichtlich progressiven Medieneinsatzes etwas anders aus, als in den meisten anderen europäische Ländern, in denen – zumindest tendenziell – eine Besinnung auf das Objekt zu beobachten ist. Holländische und belgische Museen wirken häufig wie moderne Kinoplexe mit Diskoambiente. Sei es aufgrund verfügbarer finanzieller Mittel, einem gesteigerten Einfluss von Gestaltern auf Ausstellungsinhalte oder schlicht einem anderen Geschmacksempfinden und dem daraus resultierenden Stil.
Bevor ich mich dem Parlamentarium in Brüssel zuwende, bekenne ich mich zu meiner Vorliebe für dezenten und wenn, dann durchdachten, an die Inhalte geknüpften audiovisuellen Medieneinsatz nach dem Motto "form follows function". Die folgende Rezension beschäftigt sich fast ausschließlich mit den Medien in der Ausstellung, geschuldet den bunten Spielereien und Effekten, die leider alles Inhaltliche in den Hintergrund drängen.

Das Parlamentarium ist ein Pflichtbesuch für Brüssel-Touristen und für Absolventen der Politikwissenschaft schon zweimal. Das Europaviertel mit seinen pathetisch monumentalen Bauten, die Atmosphäre, das greifbare europäische Gefühl, lassen von einer Ausstellung zum Europäischen Parlament viel erwarten. Nicht weniger als die Vermittlung der Idee eines gemeinsamen Europas, eine Rechtfertigung der Politik und seines institutionellen Gefüges, in historischer Ableitung oder in der Begründung aus aktuellen Notwendigkeiten heraus. Ja, die Erwartungen waren hoch und sie wurden nicht erfüllt.
Im Eingangsbereich erhält man von den überaus kompetenten, mehrsprachigen, jungen Servicemitarbeitern einen Audioguide. Da dessen Anwendung jedoch komplex ist, muss man sich Zeit nehmen und sich von einem der Mitarbeiter einweisen lassen. Gleich an der ersten Themenstation wird das Dilemma der gesamten Ausstellung deutlich. Auf einem groß bemessenen Tisch stehen Modelle der EU-Gebäude in Straßburg, Luxemburg und Brüssel, die teils farbig illuminiert sind und in Kombination mit dem Audioguide die Aufteilung der EU-Institutionen erläutern. Hübsch gemacht, aber schnell tut sich die Frage auf, warum diese komplexen Spielereien, nur um zu erläutern in welcher Stadt und in welchem Gebäude welches Organ der EU seinen Sitz hat. Man hat das Gefühl, Allgemeinplätze verkompliziert als vermeintlich spannendes Wissen aufbereitet zu bekommen. Die einfachen Fragen, die hingegen wirklich interessieren könnten und zumindest ein Stück unter die langweilige Oberfläche von Geographie und Architektur auf Kreutzworträtselniveau gehen würden, werden ausgeklammert. Einfache Frage: Warum leistet sich das EU-Parlament zwei Sitze, in Straßburg und in Brüssel? Leider fehlen in dieser Ausstellung häufig die Antworten auf das Warum... 
Ohne im weiteren Parcours ins Detail zu gehen, ist folgendes Fazit aus der Ausstellung ziehen: Wer sich mit der EU schon beschäftigt hat und sich damit auskennt, erfährt nichts Neues, auch ist die Vermittlungsart trotz extensiven Medieneinsatzes nicht spannender als ein Buch der Bundeszentrale für Politische Bildung. Wer hingegen noch keine Vorstellung des politischen Systems der EU hat, der wird in dieser Ausstellung auch nicht mehr Wissen darüber erhalten und sich in dem Gewirr aus Vertragstexten und Daten verlieren. Es gibt keine Antworten auf die einfachen, offensichtlichen Fragen. 
Auch der zwanghafte und erwartbare Versuch, den Europäern am Ende der Ausstellung noch ein Gesicht zu geben wirkt platt. Gibt es irgendjemandem, dem nicht klar ist, dass in Europa Holländer, Italiener, Spanier usw. leben und diese Menschen unterschiedlich sind, vielleicht sogar noch unterschiedliche Berufe ausüben?! Das ist keine Erkenntnis, die man auf Dutzenden Bildschirmen mit Filmsequenzen vermitteln, nein feiern muss. Der Gipfel und eigentlich untrügliches Zeichen, dass man über das Ziel hinaus geschossen ist: eine Warntafel vor dem letzten Ausstellungsraum. Sie warnt vor möglichem Schwindelgefühl bei Betreten des Raumes; jede weitere Erläuterung zum maßlosen Einsatz von Medien erübrigt sich. 
  • Lieblingsexponat? – Da dies kein Museum im herkömmlichen Sinne ist, gibt es dort keine Exponate.
  • Nachmachen! – Kompetentes, motiviert wirkendes und freundliches Personal. 
  • Wie hinkommen? – Im Herzen des Europaviertels, direkt im Gebäudekomplex des Europäischen Parlaments und damit nicht zu verfehlen. 
  • Charme? – Die Ausstellung wirkt bunt, futuristisch, hektisch und lädt dadurch nicht wirklich zum Verweilen ein. 
  • Jahreskarte oder Tagesticket? – Der Eintritt ist frei.  
  • Was gibt’s noch? – Die kleine aber feine Ausstellung im Anschluss der eigentlichen Dauerausstellung, das "Museum of broken Relationships" ist ein absolutes Muss. 

politische Ausstellung, Museum der EU
Der Eingang in den Ausstellungsparcours

Schilder mit Entfernungsangaben
Immer wieder gut gelungen: die Vermittlung
der Größe und Heterogenität der EU

Die Visualisierung der vielen Amtssprachen ist ein schönes
Vermittlungselement, nur leider oft übertrieben und verwirrend  umgesetzt


Der Versuch einer historischen Einleitung ist nur gestalterisch, nicht inhaltlich geglückt

EU Historie, Fotografien


Vielleicht der inszenatorische Höhepunkt der Ausstellung,
eine mit fahrbarem Computer erschließbare Europakarte

Modernes Design mit fraglichem Nutzen

In diesem Raum ist aufgrund der sich bewegenden
Wandbilder mit Schwindelattacken zu rechnen

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