14.12.2013

Stadtmuseum Kaufbeuren

Heiligenfigur, religiöser Wandschmuck, Madonna, Religiosa
Religiöse Gegenstände bilden einen Kern 
der Sammlung des Stadtmuseums

Modernes Museum ist ein Prozess. Gute Museen wissen mit aktuellen Trends in Gesellschaft, Wissenschaft und Technik Schritt zu halten, trotzdem eine relativ zeitlose Präsentationsform zu finden, ohne gehetzt, möchtegern modern zu wirken. Nach meinem ersten Besuch im Stadtmuseum Kaufbeuren dachte ich ein herausragendes Beispiel für ein Museum, das diese Erwartungen erfüllt gefunden zu haben. Doch nach längerem Überlegen und Reflektieren über die Qualitäten eines guten Stadtmuseums machte sich Ernüchterung breit... 

Mein erster Eindruck:
Unglaublich, wie ein Museum in der Allgäuer Provinz seine einzigartige historische Sammlung derart modern und für eine breite Masse ansprechend zu präsentieren versteht. Hier ist fast alles gelungen: die Länge der Texte, das Layout, die Dichte der Objekte in den Präsentationsräumen, der Medieneinsatz und die Integration von Kinderstationen in den "Erwachsenenrundgang".  Wer mit einer detaillierten, chronologischen Abarbeitung der bunten und bedeutenden Kaufbeurer Stadtgeschichte rechnet – wird Gott sei Dank enttäuscht. Die Ausstellungsmacher orientierten sich am unglaublich reichen Bestand der eigenen Sammlung und sekundär an ihrer Aufgabe der Dokumentation und Erzählung der Stadthistorie, ohne das Kernthema zu verfehlen.
Nonne Crescentia, Ausstellungsbereich im Stadtmuseum Kaufbeuren
Auch der heiligen Crescentia, der 
vielleicht berühmtesten Kaufbeurerin 
ist ein Ausstellungsraum gewidmet
So finden sich im kleinen aber feinen Haus eine Abteilung mit der umfangreichen Kruzifixsammlung, die ihres gleichen sucht, ein Bereich zur Hinterglasmalerei und das oberste Stockwerk ist den großen Schriftstellern Kaufbeurens gewidmet: Sophie la Roche, Ludwig Ganghofer, Hans Magnus Enzensberger. Die Ausstellung weist eine ausgewogene Mischung aus Reduzierung auf Preziosen und vielgliedriger Schausammlung auf.
Die Vermittlung findet häufig auf mehreren Ebenen statt bzw. die Themen werden mit diversen Vermittlungsmedien dargestellt: Objekte ergänzen sich mit didaktischen Texten, Fotos, Karten, mit audiovisuellen Kommunikationsmedien und Hands-ons. In der Gesamtschau überzeugt eine gelungenen Themenkomposition, das feine, pointierte Relief der Spezifika Kaufbeurens, ein modernes Ausstellungsgesicht und besondere Exponate.

Auf den zweiten Blick:
Als junger Mensch vermisse ich die Themen, die auch meine Lebenswelt tangieren. Anknüpfungspunkte an die Gegenwart, das berühmte Abholen der Besucher in ihrer Zeit, fehlt komplett. Es mangelt an Geschichten, die in der Stadt präsent sind, die Kaufbeuren und besonders die heutigen Kaufbeurer zu dem machten und machen, was sie sind. Da wäre z.B. der nicht nur topografisch die Stadt überragende Fliegerhorst. Eine große Kaserne die Kaufbeuren, deren Wirtschaft und Sozialstruktur entscheidend prägte. Da wäre der ESVK, der traditionsreiche Eishockeyclub. Warum wurde ihm kein Platz in der Ausstellung eingeräumt, wenn er doch das einzige Aushängeschild einer Stadt ist, die sonst keine überregionale Beachtung findet. Für viele Exilkaufbeurer in ganz Deutschland ist das Stichwort ESVK die einzige Möglichkeit um die eigene Herkunft zu erläutern!
Besonders schade ist es um ein Thema, mit dessen Auslassung eine große Chance vertan wurde: das Thema Migration. In kaum einer Stadt in Deutschland leben relativ betrachtet derart viele Spätaussiedler. Die Integration der "Russen" ist bis heute eine der großen politischen Herausforderungen in der Stadt. Der negativ besetzte Topos "die Russen" schwebt über Kaufbeuren. Warum die Ausstellungsmacher dieses brennende Thema nicht aufgriffen, ist nicht zu verstehen. 2004 beschäftigte sich beispielsweise das Magazin "Focus" mit dem problematischen Zusammenleben von Spätaussiedlern und Kaufbeurern in einem in der Stadt vielbeachteten Artikel (Fokus-Artikel: "Die Heimatgetriebenen"). 
Moderne Stadtmuseen dürfen sich eben nicht nur auf die Präsentation der Glanzstücke aus längst vergangenen Epochen beschränken. Stadtmuseen können eine Aufgabe in der Gesellschaft übernehmen, sie können schwierige Themen zur Diskussion bringen, können die Integration der Bürger fördern und besonders müssen sie alle Bewohner der Stadt in ihre Geschichtserzählung mit einbeziehen – auch junge Menschen und Migranten. Dafür gibt es Methoden der Partizipation, die in der heutigen Museumswelt eigentlich eine Selbstverständlichkeit geworden sind. 
Im Klartext: Das Kaufbeurer Stadtmuseum lehrt Stadtgeschichte aus alten Büchern. Der Besucher darf an den zahlreichen Aktivstationen zwar physische Bewegungen ausführen, geistige Aktivität wird jedoch verhindert und Anreize zur Diskussion fehlen. Das Stadtmuseum wird den Kaufbeurern leider nicht helfen, ihre Stadt in neuem Blick zu sehen oder das Bild ihrer Heimat auszudifferenzieren und bewusster wahrzunehmen. Es bleibt nach dem Besuch der deprimierende Eindruck, dass eine günstige, vielleicht einmalige Gelegenheit  ausgelassen wurde.


  • Lieblingsexponat? – Christus triumphans mit Dokumentation und analytischer Erläuterung per Touchscreen.
  • Nachmachen! – Ein digitales Gästebuch oder das kluge, einfache Leitsystem oder Objektpräsentation in mehreren Ebenen oder die kreativen Aktionsstationen für Kinder oder…
elektronisches Gästebuch, Touchscreen, Bildschirm
Das digitale Gästebuch 
– lädt zum reinschreiben ein
  • Was stört? – Den Ausstellungsmachern fehlte der Mut. Es mangelt an gegenwartsbezogenen Themen genauso wie an Aufregern, Reizpunkten oder Überraschendem. Ein Museum wie aus grauer Vorzeit, allerdings in unheimlich jungem, schickem Gewand.
  • Wie hinkommen? - Ohne Auto wird's in der Provinz schwer. Parkmöglichkeiten finden sich im neuen Parkhaus Süd. Eine Beschilderung zum Stadtmuseum, das Mitten in der Altstadt und Fußgängerzone liegt, gibt es bislang leider nicht – ein großer Kritikpunkt. 
  • Charme? – Ein modernes Erscheinungsbild, klare Linien, dezenter Farbeinsatz, eine durch und durch klare Optik bilden den perfekten Ausstellungsrahmen. Das alte Gebäude und die relative Kleingliedrigkeit der Raumstruktur schaffen trotz der nüchternen Raumgestaltung Wohlfühlatmosphäre. 
  • Jahreskarte oder Tagesticket? – Die Jahreskarte muss durch ansprechende Sonderschauen erst noch gerechtfertigt werden. 
  • Was gibt’s noch? – Kaufbeuren ist eine hübsche Stadt im mittelalterlichen Erscheinungsbild. Trotzdem finden sich die regionalen Touristenziele eher in Richtung Alpen, z.B. in Füssen. Auch die gut erreichbaren Großstädte Augsburg und München lassen Kaufbeuren als touristisches Ziel in ihrem Schatten. 



Museumsdidaktik auf mehreren Ebenen
Mehrere Vermittlungsebenen ergänzen sich: 
Objekt, Textdidaktik, Bild  und Touchscreen.
Kruzifix, hölzerner Jesus, bekrönter Heiland
Am Touchscreen kann der Besucher Details 
und Hintergründe zum Jesus triumphans erfahren.

Bauernstube, Wohnensemble
Darf in keinem Stadt- und Heimatmuseum 
fehlen, die obligatorische Stubeninszenierung.


lokale Trachten werden pars pro toto zur Schau gestellt
Die Trachtenschau reduziert sich pars pro toto 
auf die charakteristischen Kopfbedeckungen. 
Ästhetisch ansprechend inszeniert und klug 
erläutert – so ist weniger manchmal mehr. 


hölzerne Schandkragen
Hands-ons in jedem Bereich der Ausstellung. 
Hier "Schandgeigen" zum anprobieren.


vorindustrieller Webstuhl aus Holz
Ein vorindustrieller Handwebstuhl als Schlüsselobjekt 
im Bereich Gewerbe und Industrie am traditionellen 
Textilstandort Kaufbeuren. 



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