21.02.2013

Ruhr Museum | Zeche Zollverein


Straßenbahnlinie 107 Richtung Gelsenkirchen Hauptbahnhof. Ich muss dem Reiz widerstehen bis zur Endhaltestelle mitzufahren... Die Versuchung wird einem an der Station Zollverein schnell genommen, wenn sich einer der beeindruckendsten Anblicke auftut, den man in einer dieser altehrwürdigen Industriestädte haben kann. Inmitten „schlichter“ Wohnhäuser, ohne Vorwarnung, ragt ein Komplex aus geraden Linien, perfekten Fluchten, unmissverständlicher Struktur, dessen Höhepunkt zum Symbol einer ganzen Region, mehr noch, zum bildlich gewordenen Ausdruck der kollektiven Identität geworden ist, das Fördergerüst von Schacht XII.
Industriedenkmal, Weltkulturerbe, Essen
Auch wenn die Zeit knapp wird, ein Rundgang zwischen den Gebäuden, die in ihrer funktionalen Ästhetik und architektonischen Genialität kaum zu übertreffen sind, muss sein...
Dann die Fahrt ins eigentliche Museumsgebäude, der alten Kohlenwäsche. Europas längste Rolltreppe als Effekthascherei für uns Touris. Beeindruckender ist allerdings der Blick Richtung Osten, wo das weiße Oval der Arena auf Schalke auszumachen ist und mir zum wiederholten Male vor Augen führt, wie eng hier doch alles liegt. Auch diesmal kann ich es nicht fassen und unterstreiche in der imaginären Ruhrpott-to-do-Liste: Fahrradtour von Dortmund nach Duisburg.
Der Eingangsbereich – ambitioniert, international, einem Weltkulturerbe würdig. Vom Tarifdschungel der Eintrittspreise verwirrt und von der professionellen Kulisse des Foyers geblendet, mache ich einen großen Fehler und buche die Standardführung. Nur soviel, dass der Himmel über dem Pott heute nicht mehr grau ist habe ich selbst bemerkt und dass nur noch die wenigsten Männer zum Malochen unter Tage einfahren war mir irgendwie auch bewusst.
Man muss das Ruhr Museum für sich allein, mit allen Sinnen erfahren. In jedem Fall haben die Ausstellungsmacher ihren Job richtig gut gemacht. Inszenatorisch großartig und ein dezenter, sinnvoller Einsatz von Multimedia in der Ausstellung. An jeder Ecke hat man das Gefühl, dass Geld bei der Umsetzung keine Rolle gespielt hat, was im Umkehrschluss allerdings nicht Dekadenz und Überfrachtung bedeutet. Thematisch ist für alle etwas dabei. Die Mitteletage mit Archäologie und Frühgeschichte kann man auch getrost im Schnellschritt passieren oder sich rein auf Architektur und Atmosphäre zwischen den Ausstellungsobjekten konzentrieren. Die thematische Bandbreite ist eine Stärke des Museums, da sie dem Besucher die Chance bietet, immer noch vorherrschende Fiktionen der grauen Industrieregion zu einem farbigen Bild zu wandeln. Einzig das omnipräsente Wunder „Strukturwandel“, das wie eine Monstranz von den Ausstellungsmachern vorangetragen wird, nervt irgendwann und verkommt zur politischen Worthülse.
Zollverein/Ruhr Museum ist derzeit vielleicht das kompletteste Museum seiner Art. Es gibt wenige Schwächen, wie z.B. in der Qualität einiger Exponate, was für ein neues Museum mit junger Sammlung jedoch keine Schande ist. Für die Mehrheit der Besucher dürfte der große Wow-Effekt weniger durch die Ausstellung selbst zustande kommen, als vielmehr durch die Museumshülle. Kokerei Hansa in Dortmund und Landschaftspark Nord in Duisburg haben vorgemacht, dass Industriekultur nicht mehr braucht als... Industrie. Dagegen wirkt die blitz blanke Zeche Zollverein, deren Patina stark unter Umbau und Staffage gelitten hat, der man Alter, ihre ehemalige Funktion und die damit verbundene Maloche kaum mehr ansieht, oft wie eine künstliche Installation, wie eine Schauspielerin. Zollverein ist herausragend, singulär und glänzt mit seiner Größe. Zollverein ist schön, eben nicht so wie der weniger eitle, aber auf seine Weise charmante Rest des Ruhrgebiets.

Essen, Industriedenkmal, Förderturm, Weltkulturerbe
  • Lieblingsexponat? – Hier ist die Hülle, der Zechenkomplex das Highlight.
  • Nachmachen! – Der große Medientisch mit Touchscreen am Eingang der Dauerausstellung. Selten eine so gelungene wie sinnvolle Spielerei in einem Museum gesehen.
  • Was stört? – Mehr Kunstwerk als Zeichen seiner Zeit.
  • Wie hinkommen? – Über Essen Hauptbahnhof mit der „Kulturlinie“ 107 oder mit dem Fahrrad. Beides ein Erlebnis.
  • Charme? – Weniger Chichi wäre ehrlicher.
  • Jahreskarte oder Tagesticket? – Viermal innerhalb von 8 Monaten dort gewesen. Noch Fragen?
  • Was gibt’s noch? – Von der Aussichtsterrasse einen der eindrucksvollsten Blicke über das Ruhrgebiet mit meterhohen Gasfackeln, Fördertürmen und dem unvermeidlichen Kommentar des Nebenmanns aus Bayern: „Mensch ist das grün hier!“


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